Interview

„Die prägendsten und emotionalsten Erfahrungen meines Berufslebens“

Karsten Broockmann ist seit 2006 Pressesprecher der Hamburg Messe und Congress GmbH.

Messen bieten nicht nur Plattformen für Handel und Innovation – sie können auch einen solidarischen Funken in die Gesellschaft tragen. Im Interview erinnert sich Karsten Broockmann von der Hamburg Messe, wie das Team im Herbst 2015 unter großem Zeitdruck eine Messehalle in eine Unterkunft für Geflüchtete verwandelte.

 

Lieber Karsten Broockmann, Du warst als Presssprecher der Hamburg Messe und Congress dabei, als die ersten Geflüchteten Unterkunft auf der Messe bekamen. Wie hast du diese Wochen im Herbst 2015 erlebt?

Atemlos. Hamburg stand 2015 enorm unter Zeitdruck. Als wir merkten, dass es in der ganzen Stadt räumlich eng wird, haben wir unsere größte Halle B6 als Unterkunft für Geflüchtete angeboten. Alles musste so rasend schnell gehen, dass ein hochrangiger Regierungsmitarbeiter dem Chef unserer Hallenmeister mündlich und per Handschlag – „Hiermit haben Sie alle Genehmigungen, die Sie brauchen“ – die Vollmacht erteilte, alles Notwendige zu veranlassen, um Menschen vorübergehend in einer Messehalle zu beherbergen. Normalerweise hätten allein die Genehmigungen Wochen gedauert. Wir hatten 48 Stunden für die Vorbereitungen. Aber es fehlte schon überall an Material, die Betten beispielsweise mussten aus Hannover angefordert werden. Toiletten, Waschcontainer, Trennwände wurden bestellt - soweit vorhanden. Und dann kamen abends die ersten beiden Busse mit 100 Menschen. Was anschließend passierte, war nicht geplant und von niemandem vorhergesehen. Am Tag danach kamen die Spenderinnen und Spender. Und dann sind die Ersten von ihnen einfach geblieben und haben begonnen, Dinge zu sortieren…

Gibt es etwas, dass dir besonders im Gedächtnis geblieben ist – vielleicht ein Augenblick, in dem du gespürt hast: „Das hier ist größer als gedacht“?

Da gibt es einiges, wie den jungen Obdachlosen, von dem niemand wusste, dass er auf der Straße lebt. Er kam täglich zum Helfen und hat inzwischen mit einem Duschbus für Obdachlose selbst ein tolles Hilfsprojekt realisiert. Oder die Kicker des FC St. Pauli, deren Stadion nur ein paar hundert Meter entfernt ist, die gemeinsam mit den Spielern von Borussia Dortmund bei einem Freundschaftsspiel schon in der allerersten Woche mit Flüchtlingskindern aus der Halle aufliefen. Oder unsere Kirmes direkt neben den Messehallen, deren Verantwortliche an einem Mittwoch anriefen, um zu sagen, dass sie das Freitagsfeuerwerk nicht absagen könnten, wir doch bitte aber die traumatisierten Menschen auf die Knallerei vorbereiten sollten. Oder die Gespräche mit allen möglichen Unternehmen, von denen manche LKW-weise Spielzeug, Hygieneartikel oder Kleidung schickten. Und das schnell und unkompliziert. Die Beispiele ließen sich lange fortsetzen. Letztlich hat sich in einer 8.000 Quadratmeter großen Halle neben der Notunterkunft fast aus Versehen ein gigantisches Hilfsprojekt entwickelt. Der Verein Hanseatic Help, der daraus hervorgegangen ist, hat gerade in unserem CCH – Congress Center seinen 10. Geburtstag gefeiert und die Anfänge in seiner Podcastreihe „Mythos Messehallen“ noch einmal sehr lebendig aufgearbeitet.

Welche Herausforderungen musste euer Team bei der Hamburg Messe bewältigen, um aus dem anfänglichen Chaos eine funktionierende Struktur zu schaffen?

Ganz ehrlich: Vertrauen und laufen lassen. Für Messeleute damals noch schwieriger als heute. Die Notunterkunft wurde im Wesentlichen von Mitarbeitenden einer städtischen Gesellschaft betreut. Die Kleiderkammer in der angrenzenden Halle hatte niemand geplant. Dort lagen am ersten Tag nur einige Planen für Kleidung und Hygieneartikel auf dem Boden. Als sich dann die Tüten und Kartons an unseren Toren und Eingängen stapelten, baten unsere Kollegen die Menschen, die Dinge direkt in die Halle zu bringen. Kurz darauf standen erste Regale und noch ein paar Tage später fanden sich auf ein paar Paletten mitten in der Halle plötzlich Bildschirme, und Strichcodes wurden auf fertig gepackte Paletten geklebt. Über Nacht war ein professionelles Logistiksystem entstanden und überschüssige Spenden wurden erst in ganz Hamburg, dann in Deutschland und schließlich in Europa dorthin gebracht, wo sie dringend benötigt wurden. Die Helferinnen und Helfer hatten sich komplett selbst organisiert – ohne Plan, ohne Hierarchien und scheinbar ohne Strukturen. Auf dem Messegelände mussten wir derweilen vor allem darauf achten, dass Helfende und Spendende sich nicht gegenseitig über den Haufen fahren, dass niemand zu Schaden kommt. Unsere Sicherheitsleute haben regelrechte Parcours gebaut, denn an manchen Tagen hatten wir allein bis zu 1.000 Helfer in der Halle. Dazu kamen diejenigen, die vorfuhren, um Spenden abzugeben.

Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen der Hamburg Messe und den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern entwickelt – und was hat dich daran am meisten beeindruckt?

Wir mussten uns aufeinander verlassen. Es gab keine Blaupause, keine Regeln, keine Prozesse und eigentlich viel zu wenige Menschen für die Arbeit, die getan werden musste. Jeder machte, was er konnte und was gerade anfiel. Zwangsläufig wurden dabei Vorschriften ignoriert, die Grenzen verschwammen. Aber es hat funktioniert. In der Halle organisierten die Helfenden sich selbst. Das gleiche galt im Gelände für unsere Kollegen und die Mitarbeitenden unserer Dienstleister. Ganz viel geschah auf Zuruf. Ich erinnere mich, dass ich während einer privaten Wohnungsbesichtigung mit einer BBC-Reporterin in London telefonierte, weil der Sprecher der Innenbehörde das gerade nicht schaffte und mich bat, für ihn zu übernehmen. Im normalen Alltag ist es undenkbar, dass ein Messesprecher für die Innenbehörde antwortet. Zusammengefasst hat mich am meisten beeindruckt, wie schnell und reibungslos so viele unterschiedliche Menschen mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen eine wirklich große Herausforderung gemeistert haben. 

Wenn Du heute auf die vergangenen zehn Jahre zurückblickst: Was bedeutet Hanseatic Help für dich persönlich und für die Stadt Hamburg?

Die Wochen im Herbst 2015 gehören zu den prägendsten und emotionalsten Erfahrungen meines Berufslebens. Vor allem aber war es ein starker gesellschaftlicher Beitrag Hamburgs, in einer Zeit, in der an anderen Stellen Flüchtlingsunterkünfte angezündet wurden. Hanseatic Help ist zu einer wichtigen Hilfsorganisation der Hansestadt herangewachsen. Diese Entwicklung habe ich über die Medien verfolgt, hatte aber erst wieder zur Aufnahme der Podcasts persönlichen Kontakt.

 

Karsten Broockmann (63) ist seit 2006 Pressesprecher der Hamburg Messe und Congress GmbH. Sein Weg in die Kommunikation war alles andere als geradlinig: Nach dem Abitur lernte er zunächst das Bäckerhandwerk und leistete seinen Zivildienst in der individuellen Schwerstbehindertenbetreuung. Ein kurzer Ausflug an die Universität mit den Fächern Anglistik, Geschichte und Sinologie führte ihn schließlich in den Journalismus. Bis zu seinem Wechsel in die Messewirtschaft war er als Reporter für die Welt, die Welt am Sonntag und vor allem für das Hamburger Abendblatt tätig. Im kommenden Jahr geht er in den Ruhestand. 

Nach seiner Lieblingsmesse gefragt, antwortet Karsten Broockmann: „Eine Lieblingsmesse? Mit den „eigenen“ Messen ist es ein wenig, wie mit engen Verwandten – auf die eine oder andere Art liebt man sie alle und nur ganz heimlich gesteht man sich ein, dass man manche doch etwas lieber hat. Unsere großen Eigenveranstaltungen Internorga, SMM und WindEnergy Hamburg begeistern mich jedes Mal wieder mit ihren aufwändigen Standbauten und der vitalen internationalen Atmosphäre. Darin steckt unglaublich viel Kraft. Ganz privat sind für mich die Hamburger Motorradtage und die Reisen & Caraving Hamburg jedes Jahr ein Muss. Und unter dem Gesichtspunkt der Ästhetik war die hanseboot, die wir 2017 eingestellt haben, mein absoluter Favorit. Ganz frisch verliebt bin ich in unsere noch junge Polaris Convention, die ich zwar immer noch nicht ganz verstehe, deren Publikum ich aber wegen seiner Vielfalt und Harmonie sehr mag.“

 

6. Dezember 2025

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